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Karina Knaus, PhD, Leiterin des Center Volkswirtschaft, Konsumenten und Preise bei der Österreichischen Energieagentur

Karina Knaus, PhD, Leiterin des Center Volkswirtschaft, Konsumenten und Preise bei der Österreichischen Energieagentur, im Gespräch über die Turbulenzen auf den Energiemärkten, die Wirkung der Erneuerbaren Energien auf die Strompreise und mit einem Blick in die Kristallkugel.

Auf dem Strommarkt ist einiges in Bewegung geraten. Viele Menschen fragen sich: Was passiert da eigentlich genau und warum müssen wir nun mehr zahlen?

Die Stromrechnung setzt sich aus unterschiedlichen Preiskomponenten zusammen: Grob kann man zwischen den Energiekosten, den Netzkosten und den Steuern und Abgaben unterscheiden. Der Energieanteil ist dabei jener Anteil, der vom Preisgeschehen an den Großhandelsmärkten mitbestimmt wird. 2022 gibt es bei der Stromrechnung eine wesentliche Änderung. Der Erneuerbaren-Förderbeitrag wird heuer aufgrund der hohen Energiepreise nicht eingehoben, die Erneuerbaren-Förderpauschale wird auf null gesetzt. Das ist auch der Grund, warum die Haushaltspreise für Strom im Monatsvergleich von Dezember 2021 auf Jänner 2021 gesunken sind. Im Großhandel für Strom sehen wir hingegen deutliche Preissteigerungen. Hier liegt der Preis im April um rund 160 Prozent über dem Vorjahr. Ein wesentlicher Grund dafür ist der Preis für Erdgas, der nämlich im Jahresvergleich noch viel mehr gestiegen ist. Hier gab es im März 2022 im Vergleich zum Vorjahr ein Plus von ganzen 455 Prozent.

 

Wenn ich grünen Strom aus Wasser-, Wind- oder Sonnenkraft beziehe, wieso betreffen mich dann Preissteigerungen bei Gas?

Das jeweils teuerste Kraftwerk bestimmt mit seinen laufenden Kosten gemäß dem geltenden „Merit-Order“-Prinzip den Strompreis für alle. Strom aus Wasser, Wind oder Sonne drückt diesen Preis nach unten, da diese Kraftwerke keine Brennstoffkosten haben. Konkret bedeutet das: Wenn das letzte Kraftwerk, das zur Bedienung des Strombedarfes benötigt wird, ein Gaskraftwerk ist, dann bestimmen seine Grenzkosten den Strompreis für den gesamten Markt. Steht aber genügend Windkraft zur Verfügung, deren Kosten viel geringer sind, ist auch der Strompreis niedriger.

 

Brauchen wir in Österreich nach wie vor so viele Gaskraftwerke?

Österreich hat mit rund 80 Prozent einen hohen Anteil an sauberem Strom aus Wasser, Wind, Sonne oder Biomasse, in Deutschland sind es etwa nur 50 Prozent. Von dem heimischen grünen Strom kommt aber ein hoher Prozentsatz aus Wasserkraft, die im Winter wegen der geringeren Wasserführung der Flüsse weniger Strom erzeugt. Zum Ausgleich kommen heute Gaskraftwerke zum Einsatz, die den Preis nach oben treiben. In Deutschland hingegen ist im Winter der Anteil der Gaskraftwerke niedriger und jener der Windkraft höher als in Österreich – und das sieht man auch bei den Strompreisen im Großhandel. Die heimische Wirtschaft musste allein im November 2021 gegenüber Deutschland Mehrkosten von rund 160 MEUR tragen.

 

Was lässt sich gegen diese hohen Strompreise tun?

Mittelfristig kann nur der rasche Ökostromausbau den Strompreis senken. Denn für Sonne, Wind oder Wasser zahlen wir nichts. Wind ist dabei eine optimale Ergänzung zur Wasserkraft. Er kann den Gasanteil bei der Stromerzeugung im Winter, damit auch den Strompreis und natürlich auch die CO2-Emissionen senken.

 

Um die Klimaziele zu erreichen, muss viel mehr Wind- und Sonnenenergie ins Netz gespeist werden. Das sind aber volatile Anbieter, sie unterliegen starken Wetterschwankungen. Was muss Ihrer Meinung nach in der Energiewirtschaft passieren, um sich diesen Bedingungen anzupassen?

Das Regierungsprogramm der Bundesregierung beinhaltet das Ziel, dass Österreich bis 2030 über das Jahr gerechnet zu 100 Prozent mit Strom aus heimischen erneuerbaren Energieträgern versorgt wird. Dafür ist vorgesehen, die jährliche Stromerzeugung aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse bis 2030 um 27 TWh auszubauen. Die Potenziale dafür sind in den Bundesländern vorhanden. Um mit den Schwankungen bei Wind und PV umzugehen, müssen wir das System verändern. Der zentrale Baustein dafür ist Flexibilität – sowohl auf Seiten der Erzeuger als auch auf der Nachfrageseite. Wir brauchen Speicher, die den erneuerbaren Strom zwischenspeichern. Der Netzausbau ist notwendig, damit der Strom großflächig transportiert werden kann. Auch Lastenmanagement ist eine Option. In der Industrie kann die Stromnachfrage durch gezieltes Ab- und Zuschalten von Lasten gesteuert werden. Es werden etwa Öfen, Pumpen oder Mühlen dann eingeschaltet, wenn viel erneuerbarer Strom vorhanden ist.

 

Mit welchen Marktanreizen könnte man die Energiewende vorantreiben?

Bei der jetzigen Preissituation sind die Anreize ohnehin da. Die Ökostromförderung konnte gesenkt werden, weil der Marktpreis enorm hoch ist. In Österreich haben wir jetzt mit dem Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz (EAG) die rechtlichen Grundlagen für die weitere Entwicklung. Wichtig ist, dass vom Bund bis zu den Gemeinden und den Bürgerinnen und Bürgern alle an einem Strang ziehen. Das kann zum Beispiel im Bereich der Energiegemeinschaften geschehen, die im EAG definiert sind.

 

Gibt es noch Hürden, die aus dem Weg geräumt werden sollten?

Was man noch verbessern kann, sind etwa die Genehmigungsverfahren für die Anlagen zur Produktion von Erneuerbarer Energie, vor allem was die Dauer anlangt.

In einigen österreichischen Bundesländern gibt es noch realisierbare Windkraft-Potenziale bis 2030 von 15 TWh.

Spricht man über den Strommarkt der Zukunft, fällt immer wieder das Stichwort, dass der Verbraucher vom Consumer zum Prosumer werden muss. Was ist damit gemeint?

Ein wichtiges Stichwort. In Zukunft wird es Haushalte geben, die eine PV-Anlage auf dem Dach haben, das E-Auto in der Garage und eine Wärmepumpe zum Heizen. Es braucht dann entsprechende intelligente Systeme, die das Ganze koordinieren. Das Auto sollte dann geladen werden, wenn viel Sonne scheint, oder etwa langsam über die Nacht, damit die Belastung im Netz nicht so hoch ist.

 

Die österreichische Regierung will das Land bis 2030 komplett auf Strom aus Erneuerbaren umstellen. Sind Sie optimistisch, dass das klappen wird?

Wir haben in Österreich mit der Wasserkraft schon eine sehr gute Basis. Wenn wir es wollen, können wir es schaffen. Ein Beispiel: In einigen Bundesländern gibt es noch hohe Windkraft-Potenziale, österreichweit handelt es sich bis 2030 um realisierbare Potenziale von 15 TWh. Das ist sogar mehr, als der derzeit für die zur Erreichung der Ziele bis 2030 vorgesehene Windkraftausbau um 10 TWh jährliche Erzeugung.

 

Zum Schluss kann ich Ihnen den Blick in die Kristallkugel nicht ersparen. Was, glauben Sie, wird in den nächsten Monaten auf dem Strommarkt mit den Preisen passieren?

Blicke in die Kristallkugel sind immer heikel. Im Augenblick herrscht die Erwartung, dass sich die Strompreise weiterhin auf hohem Niveau stabilisieren werden. Eine Rückkehr zu den im Verhältnis niedrigen Preisen der vergangenen Jahre wird kurzfristig nicht erwartet.

 

Warum nicht?

Die fossilen Kraftwerke, insbesondere Erdgas, bestimmen in Europa nach wie vor die Strompreise. Bereits vor dem Krieg in der Ukraine ist der Gaspreis im Großhandel enorm gestiegen. Im Jänner 2022 war Gas sieben Mal so teuer wie im Jahr davor, das ist ein Plus von 600 Prozent. Gründe dafür waren etwa, dass sich die Wirtschaft nach der Pandemie rascher als gedacht erholt hat und damit die Nachfrage stieg. Gleichzeitig waren die Speicher leer. Russland hat zwar die vertraglichen Verpflichtungen mit Europa eingehalten, aber keine zusätzlichen Gasmengen geliefert. Und der Krieg in der Ukraine hat natürlich auf den Märkten eine Dynamik ausgelöst, die nicht abschätzbar ist. Es zeigt sich damit sehr deutlich: Unsere Abhängigkeit von fossiler Energie ist schlecht für das Klima und verursacht hohe Kosten. 2021 hat Österreich Erdöl, Erdgas und Kohle im Wert von 11,5 Milliarden Euro importiert. Aber auch die Versorgungssicherheit ist nicht gegeben. Mittelfristig ist der Ausbau von Erneuerbarer Energie in Europa gemeinsam mit großen Anstrengungen im Bereich der Energieeffizienz die Lösung.

Karina Knaus, PhD

leitet seit August 2016 das Center Volkswirtschaft, Konsumenten und Preise in der Österreichischen Energieagentur. Ihr Fokus liegt dabei in den Bereichen Energie- und Klimapolitik, volkswirtschaftliche Modellierung des Energiesystems, Preisanalysen und Energiekosten sowie Verbrauchsverhalten.