Dipl.-Ing. Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie (VÖZ)
Sebastian Spaun, Geschäftsführer der Vereinigung der Österreichischen Zementindustrie, über das Bekenntnis der Branche zu den Pariser Klimazielen, Wünsche einer energieintensiven Branche an die Politik und den Beitrag von Beton zum klimaschonenden Heizen und Kühlen.
Herr Spaun, gerade die Erzeugung von Zement gehört zu den energie- und CO2-intensivsten industriellen Prozessen. Woran liegt das?
Die Zementerzeugung hat hohe sogenannte Prozessemissionen. Wir müssen Kalkstein erhitzen, wobei das enthaltene CO2 entweicht. Deshalb gilt die Zementindustrie als die am schwierigsten zu dekarbonisierende Branche.
Wie kann eine Umstellung auf eine CO2-freie Produktion gelingen? Geht das überhaupt?
Wir bekennen uns ganz klar zu den Pariser Klimazielen und haben in unserer aktuellen CO2-Roadmap den Fahrplan zur Erreichung der CO2-Neutralität genau beschrieben. Es wird ohne Zweifel eine Mammutaufgabe, die alle bisherigen Herausforderungen in den Schatten stellt und letztlich nur in enger Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Standortpolitik bewältigt werden kann. Die zielgerichtete Dekarbonisierung wird nicht nur sehr großer Investitionen bedürfen, sondern wir brauchen genauso den Zugang zu großen Mengen an CO2-freiem Strom und Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen.
Die Energiepreise sind zuletzt stark gestiegen. Was bedeutet das für Ihre Branche?
Die derzeitige, vor allem durch Erdgas getriebene Preisexplosion am österreichischen Energiemarkt ist für die energieintensive Industrie das genaue Gegenteil dessen, was der Standort braucht. Es bleibt daher zu hoffen, dass es der Politik ehebaldigst gelingt, stabile Rahmenbedingungen für den Ausbau der erneuerbaren Energien, und hier vor allem Wind und Sonne, als Voraussetzung für die Umsetzung der Klimastrategie zu schaffen.
Hat Ihre Branche Strategien entwickelt, um sich auf dem Strommarkt möglichst günstig mit Strom zu versorgen?
Soweit mir bekannt ist, arbeiten alle unsere Standorte mit Hochdruck an den verschiedensten Möglichkeiten. Das reicht von PV-Projekten auf unseren sehr großen Hallendächern und teilweise sogar Steinbruchflächen bis hin zu Eigenstromprojekten im Bereich der Kleinwasserkraft und auch der Windkraft. An drei Standorten unserer Mitglieder wird bereits Eigenstrom über vollintegrierte Abwärmekraftwerke erzeugt, vier Standorte liefern auch Fernwärme.
Welche Auswirkungen erwarten Sie in den Branchen, die Sie beliefern? Werden das auch Häuslbauer merken?
Die Zeiten stabiler Baustoffpreise und der im Bauwesen weit verbreiteten Fixpreise sind wohl vorbei. Die unvorhersehbaren Entwicklungen der Energie- und CO2-Kosten gepaart mit der stromintensiven Dekarbonisierung werden die gesamte Wertschöpfungskette Bau betreffen. Beton bleibt für den Häuslbauer ein verlässlicher Partner – vor allem, wenn man langfristig denkt und die neuen Möglichkeiten des kosteneffizienten Heizens und Kühlens ausnützt.
Wie kommen wir Ihrer Meinung nach mittel- und langfristig aus dieser Preissituation für Energie heraus?
Mit einem massiven Ausbau der erneuerbaren Stromerzeugung bei gleichzeitiger Verstärkung unserer Stromnetze. Aber wir müssen uns parallel und ohne ideologische Scheuklappen genauso ernst um die Sicherstellung der Regel- und Ausgleichsenergie und natürlich um entsprechende Speichermöglichkeiten kümmern.
Haben Sie hierzu auch Wünsche an die Politik?
Ja, leider jeden Tag mehr. Aber als gemeinsamen, übergreifenden Wunsch sehe ich die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren für Energie- und Klimaprojekte. Dazu braucht es personell ausreichend besetzte Genehmigungsbehörden, aber auch eine viel größere Anzahl an Sachverständigen. Und eine bessere Zusammenarbeit zwischen dem Bund und den Ländern. Stichwort: Flächenwidmung!
Was unternimmt Ihre Branche, um die Dekarbonisierung voranzutreiben?
Ganz konkret forschen wir bereits an klimaeffizienten Zementen und an neuen hydraulischen Zumahlstoffen wie calcinierten Tonen. Aber auch an sogenannten Breakthrough-Projekten wird gearbeitet: Beim Projekt „Carbon2Product Austria“ arbeiten Lafarge, OMV, Borealis und der Verbund daran, aus dem im Zementwerk abgeschiedenen CO2 gemeinsam mit grünem Wasserstoff Kunststoffe zu erzeugen.
Die VÖZ treibt auch Innovationen im Bereich Gebäudeheizung und -kühlung voran. Ziel dabei ist es, Energie möglichst effizient zu nutzen und so auch die Kosten für die Bewohner bzw. Benutzer der Gebäude zu reduzieren. Schlüssel dafür ist die sogenannte „thermische Bauteilaktivierung“. Wie funktioniert das am Beispiel eines Einfamilienhauses?
Im Sommer angenehm kühl, im Winter wohlig warm – der Baustoff Beton ist aufgrund seiner hohen Materialdichte ein hervorragender Wärmespeicher und im Gegensatz zu anderen Baustoffen auch ein sehr guter Wärmeleiter. Die Funktionsweise der sogenannten „thermischen Bauteilaktivierung“, kurz TBA, ist genial und einfach zugleich: Bei der Errichtung eines Gebäudes werden in großflächige Bauteile – ideal eignen sich Geschoßdecken – Rohrregister einbetoniert, durch die je nach Bedarf warmes oder kühles Wasser geleitet wird. In Kombination mit einer gut isolierten Gebäudehülle sorgt die thermische Bauteilaktivierung das ganze Jahr hindurch für ein optimales Wohlfühlklima im Haus – ohne Zugluft, ohne Temperaturschwankungen.
Wie kommen hier Erneuerbare Energien ins Spiel?
Über die hervorragende Speicherwirkung von Beton, wie wir an einem Musterhaus in Niederösterreich umfassend gezeigt haben: Wenn ausreichend Windenergie zur Verfügung steht, steuert der Energieversorger – bei diesem konkreten Objekt die W.E.B – die Wärmepumpe des Hauses an und fragt quasi nach, ob noch Energie gespeichert werden kann. In diesem Fall wird Wärme in die Betondecken bis zum festgelegten Maximum eingebracht. In unserem Musterhaus reichte die Wärmespeicherung eine Woche lang! Dadurch lassen sich Wind- und Sonnenenergie gut nutzen und Zeiten ohne erneuerbare Energien überbrücken, denn diese stehen – im Vergleich zum Bedarf – im Tagesverlauf antizyklisch zur Verfügung. Dieses „Haus der Zukunft“ hat so hervorragend funktioniert, dass wir den Planungsleitfaden „Energiespeicher Beton – Thermische Bauteilaktivierung“ erstellen und veröffentlichen konnten.
Funktioniert dieses Konzept auch in Mehrfamilienhäusern? Was braucht es dazu?
Dieses Konzept funktioniert selbstverständlich auch bei Mehrfamilienhäusern. Das erste Projekt auf dieser Basis trägt den Titel MGG22 und ist eine Wohnhausanlage mit 160 Wohnungen in Wien. Die Mieter in dieser Anlage profitieren von den deutlich niedrigeren Kosten für das Heizen und Kühlen. Damit ist aber auch eine wesentliche Hürde zur weiteren Umsetzung angesprochen: Die TBA kostet ein wenig mehr in der Planung und Errichtung, Kosten, die vom Bauherren getragen werden; die Mieter profitieren dann von niedrigen Betriebskosten und der Staat – und damit wir alle – von der tollen CO2-Bilanz. Es wird hier politische und finanzielle Anreize benötigen, damit dieses Konzept noch mehr in die Breite geht. Denn noch einmal: Diejenigen, die in solchen Häusern wohnen, leben nicht nur umweltfreundlicher, sie zahlen auch wesentlich weniger für das Heizen und Kühlen.
Dipl.-Ing. Sebastian Spaun
Sebastian Spaun ist seit 1. 1. 2015 Geschäftsführer der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie (VÖZ). Zuvor war er seit 1998 Leiter der Abteilung Umwelt & Technologie der VÖZ. Er hat „Kulturtechnik und Wasserwirtschaft“ an der Universität für Bodenkultur Wien studiert. Seine beruflichen Arbeitsschwerpunkte liegen heute in der Dekarbonisierung der Zementherstellung, im ressourceneffizienten und nachhaltigen Bauen und in der Erforschung langlebiger Verkehrsinfrastruktur. Er ist Vorstandsmitglied der Österreichische Bautechnik Vereinigung (öbv) und stellvertretender Präsident der Austrian Cooperative Research (ACR) sowie im Advisory Board des Thinktanks Re-Construct.